Vorwort

Die Konzipierung und Weiterentwicklung einer Jugendpolitik ist für faktisch jedes Land eine strategische Frage. Die Jugendabteilung der Direktion demokratische Staatsbürgerschaft und Teilhabe des Europarates legte in diesem Zusammenhang drei Schwerpunkte ihrer Arbeit für den Zeitraum 2016-2017 fest.

  • Förderung einer demokratischen Staatsbürgerschaft mittels innovativer Partizipationsformen (elektronische Formen der Jugendbeteiligung bei der Unterstützung von Menschenrechten im Internet; Förderung der realen Einflussnahme Jugendlicher auf Entscheidungsprozesse, wobei insbesondere ihre Mitbestimmung auf lokaler und regionaler Ebene gestärkt werden soll; Herausbildung von Kompetenzen im Bereich demokratischer Staatsbürgerschaft; stärkere Einbeziehung Jugendlicher in formale Bildungsprozesse);
  • Entwicklung von Eigenverantwortung junger Menschen und die Wahrnehmung ihrer Rechte (Übernahme von Eigenverantwortung durch die Jugendlichen über einen rechtebasierten Ansatz; Wahrnehmung ihrer Rechte und deren Umsetzung durch aktives Handeln; Wissensvermittlung und Aufzeigen von Möglichkeiten für den Kampf gegen Diskriminierung; Erwerb von Kompetenzen durch non-formale Bildung);
  • Förderung inklusiver und friedlicher Gesellschaften (Herstellung eines friedlichen und interkulturellen Dialogs mittels non-formaler und formaler Bildung; Kampf gegen Gewaltextremismus; soziale Integration von Migranten, jungen Flüchtlingen, Minderheiten und besonders gefährdeten Gruppen; Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Jugendorganisationen in Konfliktregionen; Festigung der Beziehungen zu den international maßgeblichen Akteuren im Bereich Jugendpolitik) [1].

Dies ist die Antwort der europäischen Gemeinschaft auf die größten Herausforderungen der modernen Gesellschaft – geringes bürgerschaftliches Bewusstsein und soziale Entfremdung der Bevölkerung, politische Apathie unter Jugendlichen, fehlende Motivation für eine bewusste und aktive Einflussnahme auf das politische und soziale Leben der Gesellschaft auf lokaler und regionaler Ebene, zunehmende Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung, Verletzung der Menschenrechte.

Um die jungen Menschen zu verantwortungsvollen Bürgern zu erziehen, die sich demokratische Werte zu eigen machen, müssen in allen Bildungseinrichtungen (der formalen und non-formalen Bildung) Rahmenbedingungen geschaffen werden, die diesen Werten entsprechen. Demokratische Staatsbürgerschaft muss durch Bildung sowie innovative und interaktive Lehrmethoden gestärkt werden, damit junge Menschen eine aktive Rolle bei der Festigung der Zivilgesellschaft einnehmen können und lernen, die aktuellen Herausforderungen auf eigene Weise aufzugreifen, Entscheidungen zu treffen und eigene Erwartungen umzusetzen. Eine wichtige motivierende Rolle bei der bürgerschaftlichen und politischen Bildung spielen dabei die zivilgesellschaftlichen Organisationen.

2015 wurde das internationale Projekt „Mehr bewegen!“ ins Leben gerufen, das vom DRA e. V. (Berlin, Deutschland) [2] sowie der „Agentur für die Entwicklung der Bildungspolitik“ (Kiew, Ukraine) [3] mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik realisiert wurde. Ziel des Projektes war es, das bürgerschaftliche Engagement Jugendlicher zu fördern sowie eine demokratische und politische Kultur in der jungen Generation der Ukraine herauszubilden. Im Rahmen des Projektes fanden in der Ukraine unmittelbar vor den Kommunalwahlen 2015 zum ersten Mal Wahlen für junge Menschen unter 18 Jahren statt. Diese Wahlen wurden analog zum deutschen U18-Bildungsprogramm[1] [4] wie echte Wahlen durchgeführt. In Deutschland wird dieses Programm bereits seit 1996 mit dem Ziel umgesetzt, bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren das Interesse für Wahlen zu wecken, indem für sie der Wahlprozess unmittelbar vor der Durchführung echter Wahlen nachgestellt wird. Für Mitglieder ukrainischer zivilgesellschaftlicher Jugendorganisationen wurden Workshops und Bildungsreisen nach Deutschland organisiert. Die im Rahmen des Projektes erstellte Webseite www.m18.org.ua [5] diente als Plattform für den Austausch von Lehrmitteln zur Durchführung von U18-Wahlen sowie von nützlichen Informationen, Nachrichten und Berichten der Medien über dieses Projekt.

2016 wurde das Projekt auf Russland und Georgien unter dem Titel „Mehr bewegen! – Förderung der Jugendbeteiligung in den Regionen der Ukraine, Russlands und Georgiens“ ausgeweitet, weitere internationale Partner kamen hinzu. In beiden Ländern wurden ebenfalls U18-Wahlen abgehalten, Informationen dazu finden Sie auf der Webseite www.m18.org.ua. In der Ukraine wurden drei regionale Workshops für Multiplikatoren durchgeführt, die das nationale Netzwerk „M18“ aufbauten und in den Regionen eine Reihe von sozialen Projekten zur Partizipation von Jugendlichen realisierten. Diese Projekte waren Teil des gesamtukrainischen Wettbewerbs, dessen Ergebnisse auf dem ersten in der Ukraine durchgeführten Kinder- und Jugendforum „M18: Mehr bewegen!“ am 29. Oktober 2016 im Kiewer Stadtrat [6] präsentiert wurden. Als Grundlage für diese Veranstaltung wurde das Format des „Berliner Jugendforums“ [7] gewählt, das früher einmal im Jahr im Abgeordnetenhaus von Berlin stattfand und nunmehr an verschiedenen Orten der Stadt durchgeführt wird.

Die U18-Wahlen und das Jugendforum sind innovative und interaktive Formen der Jugendarbeit in den osteuropäischen Staaten. Aus diesem Grund entschieden die Projektorganisatoren 2017, im Rahmen des Projektes „Mehr bewegen! – Für eine starke Kinder- und Jugendbeteiligung in Osteuropa“ ein Methodenhandbuch zu entwickeln, das die besten praktischen Beispiele der Jugendarbeit aus dem Bereich der bürgerschaftlichen und politischen Bildung enthält. Erstellt wurde dieses U18-Methodenhandbuch von Experten für politische Bildung aus Deutschland, Georgien, Russland und der Ukraine.

Das vorliegende Handbuch „Mehr bewegen! – Für eine starke Kinder- und Jugendbeteiligung in Osteuropa“ stellt ein praktisches Instrument für Lehrer sowie Mitarbeiter zivilgesellschaftlicher Jugend- und Bildungsorganisationen dar, die sich mit bürgerschaftlicher Erziehung und politischer Bildung befassen. Unter Berücksichtigung der Wertevorstellungen junger Menschen wurden die besten Methoden, die sich in den einzelnen Ländern als wirksam erweisen könnten, ausgewählt.

Die Materialien des vorliegenden Handbuches können in der außerunterrichtlichen und außerschulischen Arbeit genutzt werden. Diese Ausrichtung auf die außerschulische Bildung und die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, schließt den Einsatz des Handbuches in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen freilich nicht aus, wo es als Lehrmittel für Lehrer und Erzieher im Unterricht bzw. in fakultativen Kursen genutzt werden kann.

Die im Handbuch aufgeführten praktischen Anwendungen basieren auf der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen allen am Bildungsprozess Beteiligten und zielen darauf ab, bei den Jugendlichen bürgerschaftliche Kompetenzen zu entwickeln, sie in das gesellschaftliche Leben auf lokaler und regionaler Ebene einzubeziehen und sie zu aktiven Staatsbürgern heranzubilden. Unter bürgerschaftlichem Engagement von Jugendlichen fassen wir im Großen und Ganzen Folgendes zusammen:

  • Aktivitäten von Jugendlichen und sozialen Jugendgruppen, die auf die Veränderung und Entwicklung sowohl der Zivilgesellschaft als auch der Gesellschaft insgesamt zielen;
  • Mitarbeit in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen und gemeinnützigen Strukturen;
  • Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer Rechte;
  • soziales Verhalten im Alltagsleben der Menschen.

Eine solche Tätigkeit prägt und stärkt zivilgesellschaftliche Werte sowie das Engagement (die Partizipation) der Jugendlichen.

Die Autoren des vorliegenden Handbuches unterstützen uneingeschränkt die Geschlechtergleichheit zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Bildungsprozesses und bitten die Lehrkräfte und Moderatoren nachdrücklich darum, in ihrer Jugendarbeit in geschlechtergemischten Gruppen in jedem Falle die Anrede „Teilnehmerinnen und Teilnehmer“ sowie „Mädchen und Jungen“ zu verwenden. Im Text des Handbuches decken die Wörter „Teilnehmer“, „Moderator(en)“, „Workshopleiter“ usw. Personen jeden Geschlechts ab – für die hier beschriebenen Situationen ist nicht das Geschlecht von Belang, sondern die Handlungen der einzelnen Personen in diesem Lernprozess. Im direkten Gespräch mit einem konkreten Teilnehmer oder einer konkreten Teilnehmerin oder in der Anrede einer konkreten Gruppe sollten die Formulierungen hingegen eindeutig das Geschlecht des Adressaten widerspiegeln.

Das Handbuch besteht aus drei Teilen.

Teil I „Richtig wählen lernen“ enthält eine Reihe von Unterrichtseinheiten, die Kinder und Jugendliche darin schulen, sich bewusst in das politische Leben der Gesellschaft zu integrieren und an Wahlen teilzunehmen. Darüber hinaus stellt dieser Teil die Methodik vor, wie U18-Wahlen vorbereitet und durchgeführt werden, wie Wahlbezirke organisiert sind und Abstimmungen erfolgen.

Teil II „Entscheidungsprozesse beeinflussen und gesellschaftliche Interessen verteidigen“ zeigt neue Formate der Partizipation für junge Menschen auf (z. B. das Kinder- und Jugendforum U18) und zielt darauf ab, partizipative Jugendprojekte unter Einbindung der Kommunen vor Ort zu unterstützen.

Teil III „Sich weiterentwickeln“ bietet verschiedene Lehrmethoden, die ein besseres Verständnis für Menschenrechte und deren Durchsetzung, die Überwindung von Stereotypen und die Entwicklung eines friedlichen und interkulturellen Dialoges befördern.

Die erarbeiteten Methoden werden im Zeitraum November 2017 bis April 2018 in Georgien, Deutschland, Russland und der Ukraine erprobt. In die endgültige Fassung des Handbuches „Mehr bewegen! – Für eine starke Kinder- und Jugendbeteiligung in Osteuropa“ werden die regionalen Erfahrungen, die wirksamsten Methoden und Anregungen zur Verbesserungen des Kurses sowie Empfehlungen für die ausführenden Organisationen (gemeinnützige Organisationen, Bildungseinrichtungen, staatliche Institutionen) einfließen. Die Autoren des vorliegenden Handbuches nehmen dankbar Rückmeldungen und Anregungen zur Weiterentwicklung der aufgeführten Lehrmethoden von Seiten derer entgegen, die diese in ihrer Jugendarbeit umsetzen. Bitte senden Sie Ihre Anmerkungen an die E-Mail-Adressen, die Sie unter den Informationen zu den Autoren finden. Vielen Dank für Ihre Mitarbeit!

[1] U18 steht für „unter 18“, auf Ukrainisch und Russisch wird die Bezeichnung M18 verwendet – für „molodshe 18“ bzw. „molozhe 18“.

Quellenverzeichnis
  1. Priorities of the Council of Europe’s Youth Sector 2016–2017. URL: https://rm.coe.int/16802e59bc (Stand vom 25.10.2017).
  2. DRA: [Webseite]. URL: https://www.austausch.org/home/ (Stand vom 25.10.2017).
  3. Агенція розвитку освітньої політики: [Webseite]. URL: https://edudevelop.org.ua/ (Stand vom 25.10.2017).
  4. U18: [Webseite]. URL: http://www.u18.org/willkommen/ (Stand vom 25.10.2017).
  5. М18: [Webseite]. URL: https://m18.org.ua/ (Stand vom 25.10.2017).
  6. Київський дитячо-юнацький форум М18 «Меншi 18 — ми можемо бiльше!»: 12 листопада 2017 р. // М18: [Webseite]. URL: https://m18.org.ua/forum-m18.html (Stand vom 25.10.2017).
  7. Berliner Jugendforum: [Webseite]. URL: http://jugendforum.berlin/en/homepage/ (Stand vom 25.10.2017).
Autoren

Liudmyla Parashchenko, Professorin für Öffentliche Verwaltung, Vorstandsvorsitzende der NGO „Agentur für die Entwicklung der Bildungspolitik“, Direktorin des Kiewer Business-Lyzeums.

Iryna Ivaniuk, Doktor der pädagogischen Wissenschaften, stellvertretende Leiterin der NGO „Agentur für die Entwicklung der Bildungspolitik“, leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Informationstechnik und Lehrmittel an der Nationalen Akademie der pädagogischen Wissenschaften der Ukraine.