Lernziele:
Benötigte Hilfsmittel und Zusatzmaterialien:
Zeitdauer: 2 Übungseinheiten à 45 Minuten, insgesamt 90 Minuten.
Allgemeine Empfehlungen an den Moderator / Workshopleiter
Sind die Schüler jünger als 12 Jahre, sollten Sie für die zweite Übungseinheit ggf. 10-15 Minuten mehr einplanen.
Begrifflichkeiten
Diskriminierung (lat. discriminatio „Unterscheidung“) ist eine negative Haltung, Voreingenommenheit, Gewalt, Ungerechtigkeit und Beschneidung der Rechte anderer Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Dazu zählt die Behandlung einer Person oder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe auf eine Art, die „in bestimmter Hinsicht schlimmer ist als der normale menschliche Umgang“.
Stereotyp (altgriech. στερεός „fest“ und τύπος „Abdruck“) war ursprünglich ein Fachausdruck der Drucktechnik und bezeichnete eine Druckform, einen Drucksatz oder einen Druckstock, wie sie in Druckmaschinen verwendet wurden. Ein Stereotyp ist ein relativ starres und vereinfachtes Abbild einer sozialen Gruppe, einer Person, eines Ereignisses oder einer Erscheinung. Als vorgefertigtes Wahrnehmungsschema bietet es den Menschen die Möglichkeit, auf Veränderungen in ihrem Umfeld schnell zu reagieren. Gleichzeitig kann ein Stereotyp die Entstehung neuer Gedanken und Ideen behindern.
Ablauf
Teil 1
Phase I. Herausforderung (Provokation)
Erläutern Sie den Schülern Thema und Ziel der Übung. Stellen Sie ihnen folgende Fragen: Was ist Diskriminierung? Was ist ein Stereotyp? Schreiben Sie alle Antworten an die Tafel, die Sie in zwei Spalten unterteilen. In der einen notieren Sie alles, was die Schüler mit dem Begriff „Diskriminierung“ verbinden, und in die andere ihre Assoziationen zu „Stereotyp“. Lassen Sie die Schüler überlegen, welche Fälle von Diskriminierung ihnen aus der Geschichte oder den Medien bekannt sind.
Fordern Sie die Schüler auf, sich über die Gründe von Diskriminierung Gedanken zu machen, und schreiben sie die Antworten an die Tafel. Fällt den Schülern das schwer, können Sie sie durch gezielte Fragestellungen auf Gruppen aufmerksam machen, die anderen gegenüber Privilegien genießen:
Phase II. Wissensvermittlung
Erklären Sie den Schülern, dass Sie ihnen als Beispiel für Diskriminierung ein bekanntes pädagogisches Experiment zeigen, das die Lehrerin Jane Elliott mit ihren Drittklässlern durchgeführt hat, und führen Sie sie kurz in die Geschichte des Experimentes ein.
Jane Elliott ist eine amerikanische Grundschullehrerin, die sich als Aktivistin für Feminismus, Antirassismus und LGBT-Rechte einsetzt. Sie entwickelte den bekannten „Blue-Eyed-Workshop“, den sie erstmalig mit Schülern der 3. Klasse am 5. April 1968, also am Tag nach der Ermordung Martin Luther Kings, durchführte. Die Übung will die Schüler erleben lassen, wie es sich anfühlt, einer Minderheit anzugehören. Dieses Experiment und die anschließende Polemik werden in den Dokumentarfilmen „Eye of the Storm» (1970) und „A Class Divided“ (1985) wiedergegeben. Elliotts Arbeit zum Thema „Vielfalt lehren“ bestimmte ihren weiteren beruflichen Werdegang und wurde mehrfach ausgezeichnet. So erhielt sie u. a. eine Auszeichnung der National Mental Health Association für ihre „herausragenden Leistungen im Bildungssektor“.
(Bei Bedarf können Sie den Inhalt des Experimentes nacherzählen (siehe Anlage), die Durchführung des Experimentes sollte jedoch nicht durch eine Nacherzählung ersetzt werden.)
Bevor Sie den Schülern den Film „Blauäugige gegen Braunäugige“ [1] zeigen, stellen Sie ihnen die Aufgabe, sich während des Films Gedanken darüber zu machen, ob er einen Bezug zu Diskriminierung und Stereotypen hat.
Zeigen Sie den Film.
Fordern Sie die Schüler danach auf, sich zu folgenden Fragen zu äußern:
Machen Sie die Schüler mit der Gewaltpyramide vertraut (Abbildung 1).
Abbildung 1. Gewaltpyramide.
Unterste Stufe: Kaum erkennbare Voreingenommenheit – Stereotype, Scherze, Gerüchte, Beurteilung von Gefühlen mit Gleichgesinnten, Aufnahme von negativen Informationen, Ignorieren von positiven Informationen, Demonstration von Gleichgültigkeit.
Mittlere Stufe: Vorurteile und Intoleranz – Suche nach einem Sündenbock / Bestimmung des Sündenbocks, Verhöhnung, Marginalisierung, inhumanes Verhalten.
Oberste Stufe: Diskriminierung – sexuelle Nötigung, Diskriminierung bei Einstellungen, gesellschaftliche Exklusion, Diskriminierung in der Familie, Diskriminierung im Bildungsbereich.
Weisen Sie darauf hin, dass über der Diskriminierung die Gewalt und über der Gewalt der Genozid steht.
Phase III. Auswertung
Fragen Sie die Schüler, welches Fazit sie aus der Übung ziehen. Schreiben Sie die Schlussfolgerungen an die Tafel oder das Flipchart, um sie für Übung 2 nutzen zu können. Sollten die Schüler etwas unerwähnt lassen, können Sie sie noch einmal auf die Rolle von Stereotypen und Vorurteilen im Diskriminierungsprozess hinweisen und Beispiele aus der Geschichte der Menschheit anführen (Faschismus, Antisemitismus, Geschlechterungleichheit, Rassismus usw.).
Teil 2
Phase I. Herausforderung (Provokation)
Erinnern Sie die Schüler noch einmal an die Übungsziele und die Begriffsdefinitionen von „Stereotyp“ und „Diskriminierung“ aus Teil 1. Wiederholen Sie zudem noch einmal die Schlussfolgerungen, zu denen die Jugendlichen in der Auswertung des vorangegangenen Übungsteils gekommen waren. Dabei dienen Ihnen die Notizen an der Tafel bzw. dem Flipchart als Gedächtnisstütze, wenn der erste Übungsteil schon länger zurückliegt und die Schüler sich nicht mehr so recht an ihre Schlussfolgerungen erinnern können.
Phase II. Wissensvermittlung
Teilen Sie die Schüler in kleine Gruppen (4-6 Teilnehmer) ein. Optimal wäre eine Einteilung in 4er-Gruppen, wobei dies natürlich von der Gesamtzahl der Schüler abhängt, denn die Übungszeit sollte für alle Gruppen reichen. Die Einteilung können Sie beliebig vornehmen (Abzählen, Farbkarten u. a.).
Erklären Sie den Schülern, sobald sie mit ihrer Gruppe einen Platz im Raum gefunden haben, dass sie heute die Übung „Detektive“ machen und jede Gruppe ein eigenständiges Detektivteam bildet. In gewisser Weise spielen die Teams gegeneinander, weshalb jede Gruppe für sich arbeiten sollte. Aufgabe der Teams ist es, die Charaktereigenschaften einer Person anhand von persönlichen Gegenständen zu bestimmen und ihr so viele Merkmale wie möglich zuzuordnen: Alter, Beruf, Äußeres, Interessen, familiäre und finanzielle Situation usw. Die „Detektive“ dürfen die Gegenstände in die Hand nehmen und sie genau betrachten, müssen sie dann aber zurücklegen, damit sie auch von den anderen Teams in Augenschein genommen werden können. Danach sollten die Detektive in ihrer Gruppe über die begutachteten Gegenstände diskutieren, Argumente sammeln und Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ihres Besitzers ziehen. Gut wäre, wenn die Schüler ein Porträt ihrer „gesuchten“ Person zeichnen würden. Insgesamt haben die Teams 20-25 Minuten Zeit.
Überzeugen Sie sich, dass alle Schüler die Aufgabe verstanden haben. Legen Sie nun die Sachen des „Gesuchten“ (5-7 Gegenstände) in die Mitte des Raums. Suchen Sie diese schon im Vorfeld aus. Die Gegenstände sollten alle ein und derselben Person gehören, die die Schüler auch kennen. Es könnten zum Beispiel auch Sachen des Lehrers selbst sein. Wichtig ist, dass es Gegenstände sind, die sich gut in der Tasche tragen lassen und dass sich auf ihnen kein klarer Hinweis auf den Besitzer befindet (z. B. Schlüssel, Bonbons, Kaugummi, Taschenmesser, Anhänger, eine kleine durchgebrannte Glühbirne (um eine nachkaufen zu können) usw.).
Gehen Sie während der Übung von Gruppe zu Gruppe und ermutigen Sie die „Detektive“ zu weiteren Vermutungen über den Besitzer der Gegenstände.
Nach Beendigung der Diskussion und Erstellung des Porträts stellen die Teams nacheinander ihre Ergebnisse über die „gesuchte Person“ vor und begründen diese. Schreiben Sie nach Möglichkeit während der Präsentationen die genannten Ergebnisse an die Tafel: möglicher Beruf, Alter usw. Stellen Sie auch die Porträts aus.
Diese Art des Arbeitens führt unweigerlich dazu, dass die „Detektive“ zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Zum Beispiel werden einige wahrscheinlich behaupten, dass es sich um eine Frau handelt, andere dagegen halten die Person für einen Mann. Manche werden sagen, dass die Person an Diabetes leidet (eine häufige Schlussfolgerung, wenn jemand Süßigkeiten bei sich hat) oder dass sie kleine Kinder hat bzw. Kinder mag (auch wegen der Süßigkeiten).
Während der Präsentationen verhalten sich die Schüler oft sehr ausgelassen und machen fröhliche Zwischenbemerkungen. Geben Sie ihnen Raum für ihre Emotionen, bevor Sie ihnen folgende Fragen stellen:
Sagen Sie den Schülern nun, um welche Person es sich handelt und wem die Gegenstände gehören. Lassen Sie den Schülern wiederum Raum für emotionale Reaktionen und stellen Sie ihnen dann folgende Fragen:
Phase III. Auswertung
Erinnern Sie die Schüler noch einmal an die Übungsziele und fassen Sie zusammen, inwieweit sie diese erreicht haben.
Inhalt des „Blue-Eyed-Workshops“ von Jane Elliott
Tag 1. Blauäugige
Zu Beginn des Workshops bittet Elliott ihre Schüler, Dunkelhäutige und Indios zu beschreiben. „Dummköpfe“, „Neger“, „Nigger“, „Spätzünder“ – sprudeln rassistische Stereotype aus den Kindern heraus. Elliott hatte festgestellt, dass normaler Unterricht zum Thema Toleranz nichts bringt; sie schlägt ihren Schülern ein Rollenspiel vor. Die Kinder willigen ein.
Elliott verkündet, dass blauäugige Menschen besser, klüger und ehrlicher als braunäugige sind. Sie lässt die blauäugigen Schüler in den vorderen Bankreihen Platz nehmen, die braunäugigen verbannt sie in die hinteren Reihen. Die Blauäugigen dürfen 5 Minuten länger Pause machen, bekommen Nachschlag beim Mittagessen, können auf dem Spielplatz spielen und werden von der Lehrerin gelobt. Den Braunäugigen hingegen ist es untersagt, mit den Blauäugigen zu spielen und sich Wasser am Trinkbrunnen zu holen. Wie „Aussätzige“ dürfen sie nur aus Bechern trinken und müssen in der Pause am Rande des Spielplatzes stehenbleiben. Überdies wird jedem Braunäugigen ein farbiges Band umgebunden.
Schon nach wenigen Stunden hat sich die Klasse in eine Miniaturausgabe der echten Gesellschaft verwandelt. Die Blauäugigen hänseln die Braunäugigen, verpetzen sie bei der Lehrerin, prügeln sich mit ihnen auf dem Schulhof. Die Braunäugigen ihrerseits werden ängstlich und zögerlich.
Die Braunäugigen erinnern sich: „Das war der schrecklichste Tag meines Lebens.“ „Wenn du so behandelt wirst, hast du auf nichts mehr Lust.“ „Misses Elliott hat unsere besten Freunde gegen uns aufgebracht.“
Tag 2. Braunäugige
Am nächsten Tag beginnt Elliott den Unterricht mit den Worten, dass sie sich gestern geirrt habe und die Braunäugigen besser als die Blauäugigen seien. Sie fordert die Braunäugigen auf, ihre Bänder den Blauäugigen umzubinden, was die Braunäugigen mit großer Freude tun. Das Verhalten der beiden Gruppen ist wie in einem Spiegelbild genau das gleiche.
Die Blauäugigen erinnern sich: „Ich wurde wie ein Hund an der kurzen Leine gehalten.“ „Ich kam mir vor wie im Gefängnis.“ „So mies habe ich mich noch nie gefühlt.“
Elliott stellte fest, dass ein Zusammenhang zwischen dem Verhalten eines Lehrers gegenüber seinem Schüler und dessen schulischen Leistungen besteht. Die Drittklässler arbeiteten beispielsweise an einer Aufgabe nach Zeit – mit folgenden Ergebnissen:
Eine positive Beziehung zwischen dem Lehrer und seinen Schülern erhöht also das Leistungsniveau der Schüler.
Am Ende der Übung durften die Schüler die Bänder wieder ablegen. Gemeinsam sprachen sie über das Geschehene. Die Schüler hatten am eigenen Leib Ungerechtigkeit und die destruktive Kraft von Diskriminierung erfahren. Sie waren nun viel aufgeschlossener gegenüber Menschen anderer Rassen oder Kulturen.