Unterrichtseinheit 2. Die Vielfalt in mir, meiner Umgebung und der Gesellschaft, in der ich lebe

Auseinandersetzungen mit Identitäten, ihren Stärken und Schwächen im alltäglichen Miteinander

Lernziele:

Teilnehmende…

  • …erfahren, was Unterschiede, Vielfalt und Vorurteile bedeuten
  • …erkennen, wie vielfältig sie selber sind und durch wie viele verschiedene Identitäten andere geprägt sind
  • …finden Gemeinsamkeiten mit anderen, womöglich entgegen offensichtlicher Unterschiede
  • …erkennen ihr Potenzial
  • …erfühlen, wie es ist, sich für etwas sehr eigenes, sehr persönliches zu erheben oder nicht zu erheben, wie sich andere dazu verhalten und wie es ist, seine Identitäten zu behaupten
  • …erfahren, wie es sich mit ihren unterschiedlichen Identitäten in einer Gruppe anfühlt
  • …werden auf die ungleichen Möglichkeiten in einer Gesellschaft aufmerksam
  • …begreifen mögliche individuelle Folgen der Zugehörigkeit zu sozialen oder kulturellen Gruppen
  • ...entwickeln Empathie gegenüber anderen
  • …schärfen ihre Wahrnehmung hinsichtlich von Machtunterschieden im Alltag
  • …erleben Macht und Ohnmacht und bearbeiten diese (auch nonverbal)
  • …werden sich über Macht in der Gruppe und in der Gesellschaft klar und finden emotionalen Zugang sowie Handlungsstrategien zum Machtverhältnis

Benötigte Hilfsmittel und Zusatzmaterialien:

  • halb so viele Zitronen wie Teilnehmende (es können auch andere Früchte verwendet werden oder Dinge, die ähnlich geeignet wie Zitronen sind)
  • Flipcharts und Marker oder ähnliches Präsentationsmaterial
  • Zettel (DIN A4) und Stift für jeden Teilnehmenden und jede Teilnehmende
  • 2-3 leere Karten oder Zettel pro Teilnehmender und Teilnehmenden
  • einen Stuhl für jeden Teilnehmenden und jede Teilnehmende
  • ausreichend Platz

Zeitdauer: 5-6 Stunden

Allgemeine Empfehlungen an den Moderator / Workshopleiter

Um eine Vielfalt der Möglichkeiten zu begreifen, ist es notwendig zu verstehen, was Vielfalt an sich überhaupt bedeutet. Was hat das mit einem selbst zu tun? Beeinflusst das die Art, wie wir uns selber, unsere Umgebung und die uns umgebenden Menschen wahrnehmen? Diese Auseinandersetzung ist die Grundlage für das Verständnis von vielfältigen Vorstellungen und Meinungen überhaupt.

Die nachfolgenden Übungen geben die Möglichkeit Vielfalt zu begreifen und ihre Wirkung zu spüren. Die Übungen bauen aufeinander auf und führen die Teilnehmenden Stück für Stück an das Thema heran. Es wird daher empfohlen, die Übungen in der gegebenen Reihenfolge und nach Möglichkeit vollständig in einer Bildungsveranstaltung anzubieten. Generell sind die Übungen aber auch getrennt voneinander durchführbar, daher sind die jeweiligen Reflexionsschritte direkt am Ende einer jeden Übung formuliert. Weitere Übungen können den aufgeführten Quellen entnommen werden.

Die Leitung sollte sich vor Beginn der Übungen über die Vielfalt ihrer eigenen Identitäten bewusst werden, da dies eine Rolle bei der Erläuterung von Beispielen aber auch bei der ehrlichen Reflexion der Übungen spielen kann. Von Vorteil ist es ebenso ein Gespür für die Vielfalt der Gruppe zu entwickeln, um während der Übungen Feinheiten zu erkennen und Nuancen anzusprechen.

Begrifflichkeiten

  • Identität soziale Kategorie, der sich jemand zugehörig fühlt
  • Macht ein Privileg, welches jemand auf Grund seiner oder ihrer Identität(en) in einer Gruppe oder in einer Gesellschaft hat

Ablauf

Übung 1: Zitronen

Schritt 1

Die Leitung schreibt auf ein Flipchart „Zitronen sind…“ und bittet die Teilnehmenden, den Satz fortzusetzen. Das genannte wird auf eben diesem Flipchart notiert, z.B.: gelb, sauer, gesund, oval, usw.

Schritt 2

Die Leitung stellt ein Gefäß (z.B. eine Schüssel oder eine Kiste) mit den Zitronen bereit und bittet jeweils zwei Teilnehmende, sich eine Zitrone daraus auszusuchen und diese an sich zu nehmen und genauestens zu betrachten.

Schritt 3

Die Teilnehmenden betrachten in Paaren eingehend ihre jeweilige Zitrone und legen sie nach etwa 1-2 Minuten, auf ein Zeichen der Leitung, wieder in das gemeinsame Gefäß.

Schritt 4

Die Leitung durchmischt die Zitronen gewissenhaft und bittet anschließend jedes Paar, „seine“ Zitrone wiederzufinden und erneut an sich zu nehmen.

Auswertung

In der gesamten Gruppe wird darüber diskutiert, wie es möglich war, „seine“ Zitrone wiederzufinden. Was bedeutet dies für die Anfangsaussage „Zitronen sind…“? (z.B. Zitronen sind nicht alle…/sind auch mal…) Welche Parallelen ziehen die Teilnehmenden zum alltäglichen Leben?

Übung 2: Identitätsmolekül

Vorbereitung

Für die Leitung bietet es sich zum besseren Verständnis an, die folgenden Schritte beispielhaft auf einem Flipchart nachvollziehbar für alle Teilnehmenden zu visualisieren und entsprechend vorzubereiten. Das unten dargestellte Schema (siehe Zusatzmaterialien) lässt sich auch als Vordruck verwenden. Als vorteilhafter, individueller und vielfältiger hat sich aber die eigene Gestaltung der Teilnehmenden herausgestellt, wie sie in den folgenden Schritten beschrieben wird.

Schritt 1

Die Teilnehmenden zeichnen schweigend und individuell auf ein Blatt Papier (DIN A4) mittig einen Kreis und schreiben ihren Namen hinein.

Schritt 2

Rund um den mittigen Kreis mit ihrem Namen ordnen die Teilnehmenden schweigend und individuell weitere 5-7 Kreise in der Art eines Moleküls an und schreiben in diese die wichtigsten Identitäten bzw. sozialen Kategorien, denen sie sich zum Zeitpunkt und am Ort der Übung zugehörig fühlen. Die Leitung führt das am Flipchart am Beispiel ihrer eigenen Person vor und gibt den Teilnehmenden etwa 5 Minuten zur individuellen Bearbeitung der Aufgabe. Zum besseren Verständnis hilft beim Eintragen der sozialen Kategorien in die Kreise der vorgesprochene Satzanfang: „Ich bin…“. Da es um Identitäten geht, die den Teilnehmenden hier und jetzt sehr wichtig sind, gibt es die Möglichkeit, eine oder mehrere Identitäten nicht zu nennen, sondern diese stattdessen mit einem neutralen Zeichen (z.B. X) in einem Kreis zu markieren, sollten sie sich darüber nicht mit anderen austauschen wollen. Die Leitung sollte ein entsprechendes Beispiel in ihrer Visualisierung vorsehen.

Schritt 2a

Die Leitung verteilt an jeden und jede 2-3 leere Karten oder Zettel. Auf diese schreiben die Teilnehmenden die 2-3 wichtigsten ihrer verzeichneten Identitäten aus dem Identitätsmolekül und geben die Karten bzw. Zettel der Leitung verdeckt zurück.

Dieser Schritt ist nur notwendig, wenn im Anschluss oder zu einem späteren Zeitpunkt die Durchführung der Übung 3: „Aufstehen für…“ vorgesehen ist.

Schritt 3

Die Teilnehmenden kommen nun in Gruppen zu 3 Personen zusammen und tauschen sich über ihre wichtigsten Identitäten zum Zeitpunkt und am Ort der Übung aus.

  • Was bedeuten die Identitäten für die Teilnehmenden?
  • Wie fühlen die Teilnehmenden sich damit?
  • Welche Gedanken und Fragen kommen den Teilnehmenden, wenn sie die Identitäten der anderen Teilnehmenden erfahren?
  • Gibt es Gemeinsamkeiten?
  • Was hat die Teilnehmenden überrascht oder besonders interessiert?

Erhellend kann es hierbei sein, mit Teilnehmenden zusammenzukommen, die man am wenigsten kennt.

Schritt 4

Im weiteren Verlauf der Übung kommen die Teilnehmenden wieder in der großen Gruppe zusammen und zeichnen auf ihren Blättern schweigend und individuell weitere 13 Kreise und entwickeln so das Molekül weiter. Alternativ lassen sich diese auch als Blütenblätter einer Blume um das ursprüngliche Molekül herum darstellen. Jeder dieser Kreise oder jedes dieser Blütenblätter stellt dabei eine soziale Kategorie dar, der man meistens ohne größere Einflussnahme zugeschrieben wird. Die Leitung nennt die Kategorien der Reihe nach und die Teilnehmenden schreiben ihre jeweilige Identität als Antwort dazu in den entsprechenden Kreis oder das entsprechende Blütenblatt. Auch hier empfiehlt es sich, die Kategorien für alle sichtbar zu notieren und zumindest für einige ein Beispiel zu geben. Alle Kategorien auf einmal darzustellen wird von Teilnehmenden meistens als überfordernd empfunden und daher nicht empfohlen:

  • Religion
  • Staatsangehörigkeit
  • Ausbildung
  • physische oder psychische Einschränkung
  • Hautfarbe
  • Herkunft Stadt-Land
  • Fremdsprachen
  • Altersgruppe
  • Geschlecht
  • Muttersprache
  • sexuelle Orientierung
  • Familienstand
  • sozialer Status

Da es auch hier um Identitäten geht, die den Teilnehmenden hier und jetzt sehr wichtig sind, gibt es ebenso die Möglichkeit, eine oder mehrere Identitäten nicht zu nennen, sondern diese stattdessen mit einem neutralen Zeichen (z.B. X) in einem Kreis bzw. Blütenblatt zu markieren, sollten sie sich darüber nicht mit anderen austauschen wollen. Sollte sich eine Identität aus dem inneren Molekül wiederholen, empfiehlt es sich, diese dennoch zu notieren.

Schritt 5

Die Teilnehmenden kommen nun in neuen Gruppen zu 3 Personen zusammen und tauschen sich über diese zugeschriebenen Identitäten aus.

  • Was bedeuten diese Identitäten für die Teilnehmden?
  • Wie fühlen die Teilnehmenden sich damit?
  • Welche Gedanken und Fragen kommen den Teilnehmden, wenn sie die Identitäten der anderen Teilnehmenden erfahren?
  • Gibt es Gemeinsamkeiten?
  • Was hat die Teilnehmenden überrascht oder besonders interessiert?

Schritt 6

Wieder zurück in der großen Gruppe verzeichnen die Teilnehmenden nun erneut schweigend und individuell mit unterschiedlichen Farben oder Symbolen auf ihren Blättern jene Identitäten, welche sie in ihrem alltäglichen Leben privilegieren (z.B. + oder grün), ihnen also Vorteile verschaffen, oder behindern (z.B. – oder rot), sie also benachteiligen. Anschließend können sie versuchen, gleichartig markierte Identitäten zu einem Gesamten zu verbinden oder Teile des Moleküls oder der Blume entsprechend auszumalen. Alternativ lassen sich die markierten sozialen Kategorien auch zusammenzählen. Hiernach wird sichtbar, ob sie sich mehr sozialen Kategorien zugehörig fühlen, die ihnen Privilegien verschaffen, oder mehr sozialen Kategorien, die sie in ihrem alltäglichen Leben weniger privilegieren oder gar benachteiligen.

Schritt 7

Die Teilnehmenden kommen nun in Gruppen zu 3 Personen zusammen und tauschen sich über die Bedeutung ihrer Identitäten für ihr alltägliches Leben aus.

  • Wie fühlen die Teilnehmenden sich damit?
  • Welche Gedanken und Fragen kommen den Teilnehmden, wenn sie die Identitäten der anderen Teilnehmenden erfahren?
  • Wie aufmerksam sollte man mit Privilegien umgehen?
  • Was bedeutet es in der Gesellschaft angeblich mehr oder weniger privilegiert zu sein?

Es bietet sich auf Grund der sehr persönlichen Erkenntnisse hier an, mit Teilnehmenden zusammenzukommen, die einem bereits vertraut sind.

Auswertung

Sollte im Anschluss oder in einem weiteren Schritt nicht die Übung 3: „Aufstehen für…“ vorgesehen sein, bietet es sich an, wenigstens die Reflexion jener Übung hiernach durchzuführen.

Übung 3: Aufstehen für…

Vorbereitung

Die Identitäten, welche die Teilnehmenden in der Übung 2: „Identitätsmolekül“ auf leere Karten (jeweils eine Identität auf eine Karte) geschrieben haben, werden gemischt und in Form einer Spirale hintereinander auf den Boden gelegt. Hierbei werden gleiche Identitäten zusammengefügt übereinander gelegt. Als gleich werden nur identische angesehen. Das bedeutet z.B. „Student“ und „Studentin“ sind unterschiedliche Identitäten, wie auch z.B. „Tochter“ und „Lieblingstochter“ oder „Schwester“ und „Schwesta“ (mit Schreibfehler oder abweichender Schreibweise). Um die Spirale herum wir ein geschlossener Kreis aus Stühlen gestellt, auf dem die Teilnehmenden platznehmen. Es sollten keine Stühle leer bleiben und auch keine Personen mit im Kreis sitzen, von denen keine Identitäten in der Spirale auf dem Boden auftauchen, die also in der vorherigen Übung 2: „Identitätsmolekül“ nicht teilgenommen haben. Leitungsassistenten, Gäste oder ähnliche sollten weder mit im Kreis sitzen noch an der Übung teilnehmen. Sie können allerdings beobachten und auch an der Reflexion teilnehmen.

Schritt 1

Die Leitung erklärt den im Kreis Platz genommenen Teilnehmenden, was sie erwartet, und untermalt dies gegebenenfalls durch Beispiele.

  1. Die Leitung liest eine Identität nach der anderen der Spirale folgend vor.
  2. Nachdem eine Identität genannt ist, stehen die Teilnehmenden in Abhängigkeit davon, wie sehr sie sich dieser sozialen Kategorie zugehörig fühlen, auf. Nur kurz oder nicht besonders hoch aufstehen bedeutet, sie identifizieren sich nur ein wenig mit dieser sozialen Kategorie. Wenn sie hoch oder lange aufstehen, identifizieren sie sich entsprechend stark mit dieser sozialen Kategorie. (Je nachdem, welche Gruppe man vor sich hat, empfiehlt es sich, wenn auch nur eine Person Probleme mit dem ständigen Aufstehen hat, auf alternative Bewegungen zurückzugreifen, z.B. Arme heben. Dann ist es sinnvoll, die Übung auch entsprechend zu benennen, z.B. „Hand hoch für…“)
  3. Während der Übung sollten die Teilnehmenden sich umschauen und die anderen wahrnehmen.
  4. Dabei ist wichtig, dass niemand einen anderen kommentiert, die Teilnehmenden nicht lachen und die ganze Übung schweigend stattfindet.
  5. Die nächste Identität in der Reihe wird von der Leitung erst vorgelesen, wenn all Teilnehmenden wieder auf ihren Stühlen sitzen (bzw. die Arme runtergenommen haben).

Nachdem möglicherweise offene Fragen der Teilnehmenden durch die Leitung ausriechend geklärt sind beginnt die Übung.

Schritt 2

Die Leitung liest die Identitäten entsprechend vor, beobachtet die Teilnehmenden aufmerksam und macht sich gegebenenfalls Notizen, wie sie sich wann verhalten. Zu empfehlen ist, dass sie bei letzterem durch eine Assistenz unterstützt wird.

Auswertung

Bei der Auswertung von Übung 2: „Identitätsmolekül“ und Übung 3: „Aufstehen für…“ helfen folgende Fragen, die ja nach Verlauf der Übung an die entsprechenden Vorkommnisse anzupassen sind:

  • Wie haben sich die Teilnehmenden gefühlt?
  • War es für die Teilnehmenden leicht, Identitäten bzw. Zugehörigkeiten zu sozialen Kategorien zu notieren? Warum ja oder warum nicht?
  • Wie war es für die Teilnehmenden, sich mit anderen Teilnehmenden auszutauschen, was haben die Teilnehmenden dabei gedacht, wie haben sie sich gefühlt?
  • Wie war es für die Teilnehmenden, für Identitäten aufzustehen? Möglicherweise hat jemand alleine gestanden oder im Gegenteil, alleine gesessen, während alle anderen standen?
  • Wie fanden es die Teilnehmenden, als jemand unerwartet aufstand, z.B. eine weibliche Person bei der Identität „Bruder“?
  • Wie ist das im realen Leben, wenn man alleine dasteht oder als einziger sitzt?
  • Wie verhalten sich andere? Welche Emotionen kommen dabei auf?

Abhängig von der Gruppengröße und der Anspannung braucht diese Übung schon einmal 1-2 Stunden, um sie in Ruhe durchzuführen und anständig im Plenum mit allen interessanten und interessierenden Aspekten auszuwerten. Im Anschluss empfiehlt es sich, eine (kleine) Pause zu machen oder zumindest die Atmosphäre zu entspannen.

Übung 4: aktive Befähigung

Schritt 1

Die Teilnehmenden denken individuell über eine Gruppe nach, von denen sie sich unterscheiden, und die ihrer Meinung nach mehr Privilegien und Möglichkeiten hat. Die Teilnehmenden sollten sich dabei auf Gefühle wie Frust oder Ärger besinnen, die sie in Bezug zu der gedachten Gruppe erlebten. Anschließend denken sie über die Gründe nach, warum sie glauben, weniger Möglichkeiten oder Privilegien zu haben und warum sie sich ausgeschlossen fühlen.

Schritt 2

In Kleingruppen zu 3 oder 4 Personen kommen die Teilnehmenden zusammen und tauschen sich über ihre Gedanken aus. Jeder und jede präsentiert die entsprechende Situation, die Gruppe und die zugehörigen Gefühle und die anderen Teilnehmenden der jeweiligen Kleingruppe denken darüber nach, wie man individuell oder als Gruppe aktiv werden kann, um die negativen Gefühle zu verringern und alternative Möglichkeiten zu kreieren

Schritt 3

Am Ende werden in der großen Gruppe jene Aktivitäten zusammengeführt und fixiert (z.B. auf einem Flipchart), die jemanden befähigen, negative Gefühle zu verringern und alternative Möglichkeiten zu kreieren. Es entsteht, unabhängig von den ursprünglichen Gruppen und Situationen, ein gemeinsamer Katalog an Möglichkeiten zur individuellen und gemeinsamen Ermächtigung und Befähigung in unterprivilegierten Situationen.

Übung 5: Machtverhältnisse

Schritt 1

Die Teilnehmenden kommen in kleinen Gruppen zusammen und machen sich innerhalb von 10-15 Minuten Gedanken darüber, welche Situationen und Eigenschaften unter den Beteiligten an der gesamten Bildungsveranstaltung Machtunterschiede erzeugen könnten. Die Leitung sollte dabei sicherstellen und darauf hinweisen, dass lediglich Eigenschaften und Situationen (wie beispielsweise Vorkenntnisse, Alter, usw.) beschrieben werden und keine bestimmten Personen benannt werden.

Schritt 2

Die Kleingruppen präsentieren ihre Gedanken in geeigneter Form, z.B. auf einem Flipchart.

Auswertung

  • Haben die Teilnehmenden Eigenschaften genannt, die sie selbst oder andere betreffen?
  • Haben die Teilnehmenden Situationen benannt, in denen sie sich selbst als mächtiger oder ohnmächtiger wahrnehmen?
  • Haben die Teilnehmenden Situationen benannt, die Bedeutung für ihre Kleingruppe hatten?
  • Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten haben die Situationen?
  • Gibt es weitere Situationen und Strukturen?

Unausgesprochene oder unbewusste Machtverhältnisse können Lernprozesse verhindern oder erschweren, wenn es jemand z.B. nicht wagt, Fragen zu stellen, obwohl er  oder sie sich unsicher ist. Dominante Menschen realisieren meist nicht, welche Macht sie haben. Menschen aus Randgruppen fühlen sich bisweilen unterlegen.

Übung 6: Macht-Ohnmacht-Wippe

Vorbereitung

Zur Einstimmung empfiehlt es sich eine Reihe von Theaterübungen und –erwärmungen durchzuführen, die sich in der einschlägigen Literatur finden lassen. Zumindest sollten die Teilnehmenden sich und ihre Körper zu Beginn lockern und ausschütteln. Außerdem sollten sie sich beispielsweise durch bewusstes Atmen konzentrieren und entspannen. Bei ausgiebiger Vorbereitung gehen die folgenden Schritte leichter von der Hand und haben einen größeren Effekt.

Die folgenden Schritte werden beispielhaft erklärt, wonach die Teilnehmenden in Dreiergruppen zusammenkommen. Bei einer nicht allzu großen Gruppe lässt sich das Ganze auch mit der gesamten Gruppe oder in zumindest etwas größeren Gruppen von 4-7 Teilnehmenden durchführen.

Schritt 1

Zwei Teilnehmende (T1 und T2) schütteln sich die Hand und frieren ein, bewegen sich also nicht mehr und erstarren zu einer Statue.

Schritt 2

Eine Teilnehmende bzw. ein Teilnehmender (T1) geht aus dem Bild, der oder die andere Teilnehmende (T2) bleib unverändert eingefroren stehen.

Schritt 3

Ein dritter Teilnehmender bzw. eine dritte Teilnehmende (T3) deutet die Körperposition des oder der weiterhin eingefrorenen Teilnehmenden (T2) neu und ergänzt das Bild oder die Statue entsprechend mit einer neuen Position. T2 darf dabei nicht verändert werden. T3 friert ebenfalls ein.

Schritt 4

Die Statue bleibt kurz bestehen, um sie entsprechend wahrzunehmen. Anschließend verlässt T2 das Bild, T3 bleibt unverändert eingefroren stehen.

Schritt 5

Nun deutet T1 die Körperposition des oder der weiterhin eingefrorenen Teilnehmenden (T3) neu und ergänzt das Bild oder die Statue entsprechend mit einer neuen Position. T3 darf dabei nicht verändert werden. T1 friert ebenfalls ein. Und so fort.

Schritt 6

Nach etwa 10 Minuten wird die erste Runde beendet. Die Kleingruppen können nach Bedarf durchmischt werden und es erfolgt eine weitere Runde beginnend mit einem Händeschütteln und Einfrieren zweier Teilnehmenden. Nach dem gleichen Prinzip nimmt der oder die nun einwechselnde Teilnehmende immer eine mächtigere Körperposition ein als ihr oder sein Gegenüber. Er oder sie ergänzt das Bild oder die Statue auf eine Weise, dass die Macht des verbliebenen gebrochen wird. Die Statue bleibt wieder kurz bestehen, um sie entsprechend wahrzunehmen. Anschließend verlässt der oder die Teilnehmende aus der unterlegenen Position das Bild. Entsprechend bricht der oder die einwechselnde Teilnehmende die Macht der oder des verbleibenden Teilnehmenden.

Schritt 7

Die 2 Runde wird ab und an durch ein jähes Klatschen der Leitung unterbrochen, bei dem alle bestehenden Statuen einfrieren mögen. Der oder die Teilnehmende, der oder die nun an der Reihe ist, versucht dann eine Position einzunehmen, die die Macht bricht, ohne dabei aber selbst mächtiger zu sein, also einen Weg zu finden, den Kreislauf zu durchbrechen. Anschließend setzen die Teilnehmenden die Übung wie in Schritt 6 beschrieben fort.

Auswertung

In der großen Gruppe wird das erlebte reflektiert, wobei folgende Fragen als Leitfaden dienen können:

  • Wie haben sich die Teilnehmenden in den Rollen gefühlt?
  • Welche Formen von Macht haben die Teilnehmenden ausprobiert?
  • Welche davon kennen sie?
  • Was ist den Teilnehmenden leicht, was ist ihnen schwer gefallen?
  • Wie lässt sich Macht brechen?
  • Welche Rollen haben die Teilnehmenden eingenommen?
  • Welche Assoziationen aus ihrem Alltag fallen den Teilnehmenden dazu ein?
  • Wozu war oder ist diese Übung aus Ansicht der Teilnehmenden hilfreich auch in Anbetracht möglicherweise zuvor durchgeführter Übungen im Bezug zur Bildungsveranstaltung?
Quellenverzeichnis
  1. Buch „Bildungsziel: Bürger _ Methodenhandbuch für multinationale Seminare“, MitOst-Editionen 7, ISBN 3-9808083-X, Berlin 2004 (http://mitost.org/editions/bildungsziel/buerger_screen_2004/bildungsziel_buerger_screen_2004.pdf)
  2. Buch „Динаміка різноманіття: як реалізувати потенціал різноманіття під час тренінгу“, MitOst-Editionen, ISBN 978-3-944012-05-6, Berlin 2014 (http://mitost.org/editions/p_d_r.html)
  3. Buch „Handbook for Facilitators of the Georgian Country Program Diversity School”, JointCivicEducation MitOst e.V., Berlin 2013
Anhang

Identitätsmolekül