Krieg, Gewalt, Desinformation und Repression entgegentreten – gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Kräften aus Russland, Belarus und der Ukraine!

Foto-credit: Novaya Gazeta Europe/avtozaklive

 

Erklärung des DRA e.V. anlässlich der zwangsweisen Schließung der internationalen
Menschenrechtsorganisationen und deutschen politischen Stiftungen in Russland
 

Am 8. April hat das russische Justizministerium die Registrierung von 15 ausländischen Think Tanks, Stiftungen und Menschenrechtsorganisationen in Russland annulliert und damit deren Tätigkeit im Land verboten. Betroffen sind unter anderem sämtliche deutschen politischen Stiftungen, die vor Ort über Büros verfügten, aber auch Amnesty International, Human Rights Watch sowie das Analyse-Institut Carnegie Centre. Vor dem erdrückenden Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine wurden damit das richtungsweisende Engagement internationaler Menschenrechts-NGOs sowie die demokratische Bildungs- und Kontaktarbeit der deutschen Stiftungen, die viele Ebenen der Gesellschaft erreichte, jäh abgebrochen. Dies erfolgte am gleichen Tag, an dem die russische Armee am Bahnhof von Kramatorsk in der Ostukraine 52 Flüchtlinge mit Raketen tötete, an dem die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, die Ukraine besuchte – und nur zwei Tage, nachdem Russlands bedeutendste Menschenrechtsorganisation, Memorial, von den Behörden endgültig liquidiert wurde.

In kürzester Zeit hat die russische Gesellschaft damit entscheidende Partner verloren, die sich für eine internationale Vernetzung des Landes, seine pluralistische Entwicklung und nachhaltige Modernisierung eingesetzt haben. Auch wenn Vladimir Putin und sein Sicherheitsapparat diese Ziele längst verworfen haben, werden sie von vielen Menschen im Land, auch in den Eliten, weiter gewünscht und vertreten. Und viele schicken den Vertriebenen in den Sozialen Medien ihren Dank hinterher und bekunden ihr Entsetzen über den – lange befürchteten – Abschied.

Seit Kriegsbeginn ist die Ausschaltung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit durch das russische Regime, das Vladimir Putin und die Geheimdienste seit 1999 zielstrebig zu einer neoimperialen, quasi-feudalistischen Diktatur aufgerüstet haben, fast lückenlos geworden. Mit der Ausweisung vom 8. April hat das Regime nun die radikale Absage an das Konzept universal gültiger Menschenrechte und internationale zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit offiziell verkündet. Die Verbote gegen den DRA und weitere deutsche NGOs im Mai 2021 sowie die Repressalien gegen viele unabhängige russische Medienportale und NGOs waren dafür unverkennbare Vorboten.

Die systematische Kriminalisierung und Vernichtung der Zivilgesellschaft in Russland und die Zerstörung jeglicher Demokratiebewegungen im postsowjetischen Raum, darunter schon seit 2014 auch in der Ukraine, werden von einem massiven Informationskrieg begleitet, der nicht nur die russische Bevölkerung auf Kreml-Treue und Kriegsbereitschaft einschwören soll, sondern der auch die Einheit und Handlungsfähigkeit der demokratischen Staaten und ihrer Gesellschaften unterminieren soll, vor allem in der EU.

In diesem Wendepunkt ist die deutsche und europäische Politik gefordert, russische Akteure von Desinformation, Manipulation und Repression mit allen demokratischen Mitteln einzuschränken und zugleich russische und belarusische Verfolgte der Putin-und Lukaschenko Regime kurzfristig und wirksam zu unterstützen.

Im Einzelnen bedeutet dies:

  1. Politische und wirtschaftliche Kontakte nach Russland müssen minimiert und unter der Prämisse gestaltet werden, die schnellstmögliche Beendigung des Krieges gegen die Ukraine zu fördern. Bisherige Formate institutioneller Zusammenarbeit müssen aufgelöst oder ausgesetzt werden, soweit sie staatliche oder staatsnahe Institutionen aus Russland einbeziehen; dies schließt den Petersburger Dialog ein, der seine Handlungsgrundlage vollends verloren hat. Sie können erst nach Beendigung des Krieges und einer Rückkehr Russlands zu den Prinzipien des Völkerrechts, der Menschenrechte und der Gewaltenteilung neu und nach demokratischen Grundsätzen aufgebaut werden.
  2. Die Bundesregierung, die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen die Ahndung russischer Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen auf internationalem und nationalem Niveau verfolgen. Dazu gehören die Eröffnung von Ermittlungsverfahren nach dem Prinzip der universellen Justiz und die Einbeziehung von Dokumentationen unabhängiger NGOs.
  3. Bundesregierung und Bundesländer müssen gegen russische Staatssender und staatsfinanzierte Institutionen, gegen Propagandaveranstaltungen, die Krieg, Repressionen und Desinformation rechtfertigen, sowie gegen Symbole des Terrors der Russischen Föderation juristisch konsequent und energisch vorgehen.
  4. Gleichzeitig muss die Unterstützung langfristiger demokratischer Veränderungen in Russ-land und Belarus neu aufgelegt und ohne Verzug gezielt umgesetzt werden. Die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen und anderen demokratischen Kräften in/aus Russland und Belarus muss fortgesetzt und strukturell und finanziell noch einmal deutlich erweitert werden.
  5. Erforderlich sind die Einrichtung eines zusätzlichen, flexiblen Förderprogramms zur Demokratieförderung in Osteuropa bereits ab dem Bundeshaushalt 2022 und die Schaffung eines Nothilfefonds für Geflüchtete aus Zivilgesellschaft, Medien, Wissenschaft, Kultur und anderen Bereichen, die in Russland und Belarus gegen den Krieg und für eine Demokratisierung engagiert sind und waren.
  6. Die Bundesregierung und EU müssen zudem für von den Diktaturen in Russland und Belarus zur Flucht getriebene kritische Vertreter:innen der Gesellschaft unverzüglich eine großzügige Aufnahmepraxis sowie deutlich erleichterte Einreise- und Aufenthaltsregeln Diese müssen auch das Recht auf soziale Absicherung, auf Arbeit und demokratische politische Betätigung auf der Basis langfristiger humanitärer Visa und Integrations-programme gewähren. Eine Umwandlung anderer Visa in langfristige humanitäre Visa erst nach der Einreise sollte wesentlich erleichtert werden.
  7. Das Amt des/der Beauftragten für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft, Russland und Zentralasien sollte umgehend neu besetzt werden. In der aktuellen Situation sollte es in zwei Positionen geteilt werden: einen Beauftragten für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit den assoziierten Ländern der Österlichen Partnerschaft und einen für jene mit Russland und Belarus. Für beide Ämter sollten regional erfahrene und qualifizierte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gewonnen und alle notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden, um die politische und fachliche Realisierung der oben genannten Leitlinien und Maßnahmen zu stärken.

Die schnellstmögliche Beendigung des brutalen Eroberungskrieges gegen die Ukraine, die Unterstützung der Ukraine in ihrer Selbstverteidigung und ihrem Ringen um Freiheit sowie die Überwindung der Diktatur in Russland und Belarus müssen unverbrüchlich im Zentrum der deutschen und europäischen Politik bleiben. 

Stefan Melle, Geschäftsführer DRA e.V.

 

Der Text greift Passagen und Forderungen aus einer Erklärung von Stefanie Schiffer (Europäischer Austausch) vom 9.4.2022 auf, die beide Organisationen gemeinsam vertreten.

Die Erklärung finden Sie als PDF hier.

 

 

        

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